Binsengeflüster.

Von Lehrer H. Dietrich.

Im großen Reiche der Kinder Floras gibt es so manches Gewächs, das da in irgend einer sinnbildlichen oder auch feinschmeckerischen Beziehung zu dieser oder jener Oertlichkeit unseres Erdenrundes steht. Man denke nur an den berühmten Kaffeestrauch in unserem nicht minder berühmten Sachsenlande! Abgesehen von solch niederer Magenfrage häufen sich die Fälle, in denen eine Pflanze mitwirkte, wo es galt, einen Ort oder eine Gegend zu benamsen! Leipzig, die pleißenumflutete Messestadt, ist die „Stadt der Linden“, wie schon die alten Sorben feststellten, — Buchholz ist oder war die „Stadt der Buchen“, — Schlettaus Elterleiner Vorstadt aber ist die „Stadt der Binsen“! Doch dies alles nur nebenbei! Gefolgt und begleitet vom frischen Abendwind habe ich neulich dem Reiche der schwankenden Binsensippschaft, der ja in unserer Bins ein Ehrenplatz gebührt, wieder mal einen Besuch abgestattet! Gleich hier sei aber dringlich davor gewarnt, wollte jemand das wankende und schwankende Wesen besagter Gewächse etwa gar auf unsere biederen Binsbewohner übertragen! — Es war kurz nach der schlimmen Zeit, da unserer Bins Hauptstrom, die Rote Pfütze, plötzlich dermaßen an Leibesfülle zunahm, daß ihr das angestammte Bett zu eng wurde und die ganze Bins in „Seenot“ geriet. Die pflanzlichen Ureinwohner unserer lieben Vorstadt befanden sich in der Stimmung getäuschter Hoffnung! Hatten sie doch alle bestimmt geglaubt, nun werde es wieder so wie damals, als hier noch alles eitel Sumpf und Morast gewesen. Und nun war diese Hoffnung entschwunden — mit der letzten Waschwanne, die auf der hochgeschwellten Heimatpfütze davonschaukelte! — Was mich auf den Wiesen da untern zuerst begrüßte, das waren die schlanken Persönchen der Wollgräser. Ihren weißen Schöpfen fehlte freilich noch die Schönheit der Fruchtreife, wo jedes Früchtchen mit einem langen, seidigen Haarkranz umgeben ist, bestens eingerichtet zum Segelflugsport! Jetzt freilich sahen sie etwas sehr unfrisiert aus. Sollte man etwa einmal darauf zukommen, der Bins ein eigenes Wappen zu verleihen — das Wollgras müßte bestimmt mit darauf, denn es ziert gar lieblich die Wiesen der Bins! Wie ich dem Wasser zuschlendere, da raschelt´s und wispert´s und verbeugt sich tief vor dem Abendwinde! Seggen sind´s, zwar noch keine Binsen, doch ihre treuen Begleiter überall dort, wo es unten herum schlüpfrig wird! Mit Verachtung blicken sie auf Wiesenschwingel und Kammgras, auf´s ewig zitternde Zittergras, auf´s niedliche Straußgras, überhaupt auf alles herab, was Knoten im Halme hat! Doch diese knotigen Süßgräser dem Landmann als Futter weit mehr Nutzen bringen, das kommt ihnen gar nicht in den Sinn. Richtige Gräser sind diese Seggen nämlich überhaupt nicht, sondern nur „Scheingräser“, mit meist dreieckigem, knotenlosem Halm und langen, regenschirmhüllenartigen Blattscheiden. Man nennt sie allenfalls noch „Ried- oder Sauergräser“ und deutet damit an, daß sie den moorigen, stark humussäurehaltigen Boden lieben. Ihr Hauptzweck scheint darin zu bestehen, den Naturfreund, der es versucht, mit Hilfe eines Pflanzenbuches ihren genauen Namen festzustellen, in helle Verzweiflung zu bringen, ob ihrer großen Aehnlichkeit untereinander und der großen Zahl ihrer Familienglieder! Das einzige, was die ganze Riedgräserfamilie herausreißt, ist ihre Verwandtschaft mit der Papyrusstaude, aus der die alten Aegypter das erste Papier bereiteten; doch wächst dieses nützliche Gewächs leider nicht in der Bins! — Ein recht niederträchtiger Patron ist auch dieses magere, büschelige Gräslein, das kaum 30 Zentimeter hoch wird und auch die Moorwiese verrät: „Sauborst“ sagen die Leute, Borstgras heißt es auch! Sein besonderes Vergnügen ist es, die Güte des Wiesenfutters wesentlich herabzusetzen und mit seinen steifen, spitzigen Blättern, besonders den harten vorjährigen, die barfüßigen Knaben in die Waden und die weidenden Milchkühe ins Maul zu stechen! Wie eine schartige Säge sehen die ausgefallenen Aehrengerippe dieses Unkrauts aus! —

Niemand wird behaupten, daß mit Ausnahme des Wollgrases, das bisher Berichtete unserer Bins zur besonderen Zierde gereicht. Bei weitem mehr ist dies aber der Fall bei jenem dunkelgrünen, blattlosen Schaft voll weißen, schwammigen Marks, der etwa 20 Zentimeter unterhalb seiner Spitze so keck an der Seite den braunen Blütenschopf trägt: Das ist endlich eine der berühmten Binsen! Flatterbinse heißt sie. Hat nicht ihre ganze Gestalt, ohne Blatt, mit dem seitlichen Sitz der Blütenbüschel, etwas Außergewöhnliches, gar nicht Alltägliches? Wer kann ahnen, daß das obere Stielstück über den Blüten gar nicht mehr Stiel ist, sondern ein umgebautes Blatt, welches die Blüten während ihres zarten Jugendzustandes schützt? Wo diese Binsen wachsen, da melden sie uns: Hier unter unseren Wurzelbeinen gluckste in versunkenen Zeiten das Moor, und du fürwitziges Menschlein lägest längst als Moorleiche hier unten konserviert, hättest du damals deinen neugierigen Fuß auf dieses Stück Erde gesetzt! Sie bezeichnen uns also Verlandungsgebiet. — Dort drüben am Teichrande da rauscht´s und raunt´s, daß es eine Art hat! Schilf und Rohrkolben sind es, die da in erregtem Getuschel durcheinanderrascheln. Ich glaube, es handelte sich um die neue in Aussicht stehende Trockenlegung in der Nachbarschaft! Ein Glück, daß sich die langen Schilfblätter um den blankpolierten Halm drehen können wie eine Wetterfahne, sonst hätte Freund Blasius die langen, hageren Gestalten sicher schon längst mit der Nase ins offene Wasser getunkt! Rohrkolben steht noch fester und hebt stolz seinen braunen Zylinderputzer, in dem männliche und weibliche Blüten nebeneinander oder besser untereinander hausen, weit in die Luft empor! Wenn das auch sehr erhaben aussieht, so tut er´s doch nur dem Winde zuliebe! Denn windige Gesellen und Luftikusse sind sie alle, die Ureinwohner der Bins! Der Wind ist ihr beflügelter Liebesbote von männlicher zu weiblicher Blüte, ihm vertrauen sie auch ihre Nachkommenschaft an! — Alles eitel Windbeutelei! — An allen Trockenlegungsfragen haben aber Schilf und Rohrkolben im Gegensatz zu sonstigen Luftikussen ein starkes Interesse! Wie sehr sie im Kampfe mit dem feuchten Element stehen, zeigt hier unser Teich! Immer weiter ergreifen die beiden Besitz von ihm, und er wehrt sich ihrer vergebens. Langsam aber sicher schiebt der Rohrkolben seinen oft meterlangen, besenstieldicken Wurzelstock weiter und immer weiter nach der Teichmitte zu. Die vielen Ausläufer und Wurzeln verfitzen und verfilzen sich und verschlammen. Noch raffinierter ist das Schilf zum Kampfe gegen das Wasser ausgerüstet. Seine langen Wurzelausläufer haben ordentliche Dolchspitzen, mit denen sie sich in den weichen Teichgrund einbohren. Da hilft kein Spülen und Wellenschlag, kleiner und kleiner wird der Teich! — Um aber noch einmal auf das Binswappen zurückzukommen, so wird wohl jetzt jeder Binsulaner einsehen, daß mindestens auch Schilf und Rohrkolben mit hineinmüssen, von wegen der Trockenlegung und somit, weil er diesen beiden zum großen Teil seine gemütliche, wenn auch etwas morastige Heimatscholle mit verdankt! —

Lange hatte ich dem Halmengemurmel in der Bins gelauscht. Doch plötzlich hatte das Wasser den langgesuchten Weg zu meinen Strümpfen und Fußzehen gefunden und stieg lustig zu den Stiefelschäften herein! Da zog ich es denn doch vor, umzukehren, natürlich nur, um zu vermeiden, daß besagte Beinbekleidungsstücke noch einmal allein und ohne mein Zutun „in die Binsen“ gehen möchten!

Schlettauer Heimatblätter. 1. Jahrgang, Nr. 11 v. 15. Juli 1926, S. 10 – 11