D’r Scheimbaarger But (2)

Von Emil Müller, Dresden.

Aus der Zeitschrift des Erzgebirgszweigvereins Dresden.

(Fortsetzung und Schluß.)

Aller paar Minuten sprang er hinter ein Gebüsch oder kroch er an einen Feldrain und gab der Natur zurück, was er nicht halten konnte. In seinen Därmen schien Revolution zu sein. Auf der Windmühle schlief er auf dem stillen Oertchen vor völliger Erschöpfung ein. Als er aufgestöbert war, zog er seines Wegs weiter nach Buchholz und Annaberg, wo seine Frau ihn schon stundenlang erwartet hatte. Die Predigt, die er dort hörte, rüttelte ihn wieder auf. Daß ihm nichts weiter passiert ist, ist eigentlich ein Wunder, denn das große Glas Bier mit der dicken Sahne stand vielleicht ein Jahr lang im sogen. Kellerhaus in einem Loch, wo es eigentlich entdeckt und heraufgeschafft worden war, um den Inhalt zu entleeren, der nicht so leicht dem Glase entnommen werden konnte, weil das Bier eine breiige, fast feste Masse geworden war, und die schöne „Sahne“ war nichts weiter wie dicker, festgewordener Schimmel. Als er abends um 10 Uhr wieder in Schlettau erschien, brachten ihm die Gäste, die von dem früh Geschehenen wußten, gutes Bier und warme Würstchen. Er fühlte sich entschädigt. Es gibt eben noch eine ausgleichende Gerechtigkeit.

Eines Sonnabends traf der Buten-Kahrl abends 11 Uhr im „Weißen Roß“ ein. Auf dem runden Tisch stand eine Schüssel mit hartgekochten Eiern. Er mochte Hunger haben und bettelte mich deshalb um ein Ei an. „Nun gut“, sagte ich, „du sollst eins bekommen, aber du mußt dein Maul ganz weit aufsperren, damit ich dir das Ei im ganzen, gleich so wie es ist, hineinschieben kann.“ Natürlich, der Buten-Kahrl machte es so. Das Ei wurde mit der spitzen Stelle an seinen Mund gesetzt. Ein tüchtiger Schlag mit meiner Hand an das Ei, und weg war es. Ja ja, weg war es, aber wohin? Nun ging das Elend los! Das Ei stak hinter den Zähnen, ohne zerdrückt zu sein. Es war nicht klar zu bringen, bis ich endlich zum Kahrl sagte: „Sperrs Maul ganz auf!“ Er tats, und pfatsch! Hatte ich ihm mit beiden Fäusten zu gleicher Zeit auf jeden Backen einen solchen Schlag versetzt, daß das eingesperrte Ei fast zu Brei zerquetscht war und dem Kahrl das Wasser aus Augen und Nase floß. Ja, da war allen Anwesenden das Lachen vergangen und hauptsächlich mir. Er hatte aber frohe Laune behalten, brauchte er doch nun nicht mehr zu ersticken. Ich aber kaufte ihm einige Würstchen und ein Glas Bier, damit er mich wieder als „Freund“ betrachtete. Aber so etwas Dummes mache ich nicht wieder.

Unser Freund, der Schwipper-Emil, war seinerzeit auf der Amtshauptmannschaft in Annaberg in Stellung. Er ging öfter abends nach Schlettau nach Hause. (Ja ja — die Liebe!) Unterwegs kehrte er im „Heiteren Blick“ oder in der „Windmühle“ gern einmal ein. (Tut er auch heute noch gern, nur ist es jetzt der „Bienenkorb“ [1].) Einmal traf er in der Windmühle ein, als gerade die Gäste wieder mit dem Kahrl ihren Spaß hatten. Jemand wollte ihm ein Stück von seiner blauen Schürze abschneiden. Natürlich nur zum Schein. Aber an seinem Sträuben und seinem Abwehren, an seiner Angst hatten sie ihre Lust. Solchen Unsinn machten sie mit ihm. Also in dieser Gefahr war er heilfroh, als er im Schwipper-Emil einen Retter nahen glaubte. Er fing an zu schreien: „Giste wack! Ich sog´s fei dort ne Harrn Amtshauptmann!“ Das half.

Wenn der Kahrl von seiner Annaberger Tour in Schlettau eintraf und auch dort noch einige Bierrester bekam, hatte er gute Laune, und er brauchte nicht lang gebettelt zu werden, um etwas zu deklamieren. Beim Kunzmann-August am Markt stieg er deshalb die zwei Stufen hinauf, die nach der hinteren Stube zum Fleischgewölbe führten. Er streckte sich und reckte sich, verdrehte den Hals und fing an, ein Kauderwelsch zu predigen, aus dem kein Menschenkind klug wurde. Sein jedesmaliges Abtreten von der Rednerbühne begleitete er mit den Worten: „Und er verschwand!“ Auch heute wieder hatte er diese Worte gesagt und sich umgedreht, um nach dem Aufklinken der Türe im Hinterzimmer zu verschwinden. Da kamen die zwei großen Fleischerhunde, der Bazem und der Türk, auf ihn los. Ein Mordsskandal! Die Tür wieder zuschlagen und rücklings die Stufen hinabstürzen, war eins, er lag da wie eine ägyptische Bildsäule. Nachdem man ihn aufgehoben hatte, machte ein Glas Bier alles wieder gut.

[1] „Bienenkorb“, ein bekanntes Bierlokal in Dresden.

Schlettauer Heimatblätter. 1. Jahrgang, Nr. 11 v. 15. Juli 1926, S. 11 – 12