D’r Scheimbaarger But.

Von Emil Müller, Dresden.

Aus der Zeitschrift des Erzgebirgszweigvereins Dresden.

Hier habt ihr ihn im Bilde diesen wunderlichen Kauz, diese originelle „Gurke“, dieses Mischgebilde bester und daneben widerlichster Charaktereigenschaften, diesen Spielball der Spottlust von Kindern aller Art bis zu den 50- und 60jährigen herauf. Der in München lebende Annaberger Maler Rudolf Köselitz hat ihn gezeichnet, so wie er ihn in seiner Erinnerung sieht.

Der Scheibenberger Botenmann, in Annaberg Buten-Kahrl, in Schlettau Buten-Hermann gerufen, ist nun schon über 30 Jahre tot, aber die älteren Bewohner von Annaberg, Buchholz, Schlettau und Scheibenberg besinnen sich noch gern auf ihn. Es ist, als ob die heutige Zeit solche aus dem Durchschnitt herausfallende Menschen gar nicht mehr fertig brächte.

Nun schaut ihn an! Das grobe, ungeschlachte und ungepflegte Gesicht mit dem derben „Zinken“ darin und der breitgebauten, festen Kiefernpartie, deutet hin auf grobsinnliche Begehrlichkeit. Nun wir wissen, daß ihm Essen (hier richtiger „Fressen“) und Trinken (wieder richtiger „Saufen“) als der eigentliche Daseinszweck seiner Persönlichkeit erschien. Nicht auf Wert und Güte der durch seine gewaltige Eingangspforte zum Innern gehenden Speisen und Getränke kam es ihm an, sondern nur auf deren Menge. Käserinden und Pöklingshaut und dazu schales, lange gestandenes Tropfbier wurden mit derselben Gier verschlungen und ebensolchem Geschmatz vertan, wie er etwa einen köstlich duftenden Schweinebraten verspult haben würde. Ein Zug von Befriedigung trat da in sein Gesicht, den wir auch auf dem Bilde wiederfinden, wo der Buten-Kahrl eben im Begriff ist, einen zerbeulten und zerknautschten Zigarrenstummel zu verschmauchen, den er mit stolzer, gravitätischer, kavaliermäßiger Handhaltung zum Munde geführt hat. Die Walfischflossenähnlichkeit der Hand stört hier tatsächlich nicht. Mit Eleganz und Selbstbewußtsein gibt er sich ganz dem Genießen hin. Selbst seine sonst lässige, sich gehen lassende Körperhaltung ist gestrafft, fast hoheitsvoll.

Aber eine Hauptsache. Billig mußte alles sein, billig, billig. Die liebste Münze, die er dafür ausgab: Nichts. Er ließ sich prügeln und schlagen, ließ sich quälen und herumhetzen, ließ „Schindluder“ mit sich treiben, wenn er dabei nur etwas Freßbares ergattern konnte.

Kam er in eine Schenke – nebenbei: er kam in jede – bettelte er den Wirt an um zusammengeschüttetes Neigenbier. „Hast de net ewink Bier? Hähä! I gih, du hast schu wos, gaa (gib) haar, gaa haar!“

Die tief hinterzogene Mütze, die aber trotzdem noch mit dem Schirm weit übers Gesicht hereinragte und so den ganzen Kopf hübsch warm hielt, und der um den Hals geschlungene und unter den Rock geknöpfte lange Schal, sowie seine an allen Ecken und Enden geflickte und beschmierte Hose und die steifen, aus bretthartem Leder gefertigten Stiefel, machten unseren Buten-Kahrl zu einer auffälligen Straßenfigur und zu einem zum „Veralbern“ sich wohl eignenden Objekt.

Soll noch etwas über seine Wesensart gesagt sein, so haben wir uns ihn als ehrlich, gutmütig, nicht übelnehmisch, mit einer Dosis Verschlagenheit und Dummpfiffigkeit ausgestattet, aber auch schwach und furchtsam vorzustellen.

Herr St. aus Schlettau erzählt uns vom Buten-Kahrl folgende Einzelheiten: Aus Scheibenberg kam alle Tage der Botenmann mit dem Schiebbock, wenn er auch nichts aufgeladen hatte, und machte seine regelrechte Tour über Schlettau und die alte Straße über den Berg nach Buchholz und dann nach Annaberg. Seine Frau fuhr mit dem Hund ein paar Stunden später, aber die benutzte von Schlettau aus die neue bequemere Straße, weil sie immer ziemlich schwer bepackt war mit Waren, die sie in den Buchholzer und Annaberger Posamentenhäusern abliefern mußte; dafür nahm sie wieder Pakete mit für die Verleger in Schlettau und Scheibenberg. Der Buten-Kahrl suchte meistenteils die Gasthäuser auf und spionierte, wo er etwas zu rauchen und etwas Nasses vorfand, es konnte sein, was es wollte.

Wenn er nun ziemlich voll geladen (innerlich) von Annaberg und Buchholz durch Schlettau heimwärts zog, gab es oft große Luft. Seinen leeren Schiebbock ließ er auf der Gasse vor dem Wirtshaus stehen. Kam der Kahrl wieder heraus, war meistenteils der Schiebbock verschwunden. Nun ging das Suchen los, alle Gassen auf und ab. Da er bei dieser Uebung nach und nach alle Versteckwinkel kennen lernte, fand er den Schiebbock meist auch wieder.

Eines schönen Abends kommt der Kahrl in später Stunde in den Bockgasthof. In Buchholz hatten sie aber wieder einmal in irgend welcher Weise mit ihm das „Kälbchen ausgetrieben“. Er mochte jedenfalls in bösem Zustande gewesen sein, denn er wußte nicht, daß man ihm sein Gesicht mit Ruß bemalt hatte. Da gerade niemand da war, drückte er sich in der großen Gaststube herum und kam daher an einem großen Spiegel vorbei. Da erschrak er heftig, denn es blickte ihm, wie er dachte, aus einem Fenster ein schwarzer Mann mit weißen Augen entgegen, so daß er geängstigt den Gasthof verließ. Das hatte er nicht begriffen, daß er sich selber gesehen hatte.

Mit seinem Schiebbock fuhr er nun zur Pfarre. Dort wollte er das Päckchen, was er heute auf seinem Schiebbock hatte, abgeben. Da er aber die Türe zur Pfarrwohnung verschlossen fand, hing er das Päckchen (es war ein Hase, den er aus Annaberg mitgebracht hatte) an den Haustürdrücker. Er dachte, morgen früh würde man das Päckchen schon gewahr werden. Der Hase hat aber nicht lange dort gehangen. Es hatte sich jemand gefunden, der aus Mitleid mit dem Hasen diesen aus der kalten Herbstluft mit in seine Stube genommen hatte.

Der Buten-Kahrl war nun schon ein Stück über das Schlettauer Krankenhaus hinaus. Da hielt er seinen Schiebbock an und legte sich ein wenig darauf, er mochte recht müde sein. Ob er einen Augenblick eingeschlafen war, ist möglich, denn er wurde gar nicht gewahr, wie jemand ihn anrief und aufrüttelte. Wie bekannt, ging unser damaliger Pastor Schmidt fast alle Abende allein spazieren, und der war es, der unsern Buten-Kahrl entdeckt hatte. Weil er den Buten-Kahrl aber wirklich nicht auf die Beine brachte und gleichfalls meinte, in dieser Kälte könne man unmöglich einen Menschen im Freien liegen lassen, sah er keinen Ausweg, als selbst den Karren anzufassen und ihn mit dem Menschen bis herein zum Bockgasthof zu fahren. Doch kaum hatte er den Schiebbock mit beiden Händen gehoben, gab es ein Geschrei, und der Passagier sprang mit Fluchen und Schimpfen in die Höhe. Da trat auf einen Augenblick der Mond hinter den Wolken vor. Der Pfarrer sah entsetzt das schwarze Gesicht, und der Buten-Kahrl merkte auch, wem er den „damischen Hund“ angeworfen hatte. Ohne Gruß und Kuß gingen beide auseinander.

Einmal kam er in eine Gastwirtschaft. Da im Hause „reine“ gemacht wurde und weil da alle Hände gebraucht werden, war keine Bedienung im Gastzimmer. Das zwecklose Warten dauerte dem Buten-Kahrl zu lange, er suchte darum auf dem Büfett herum, wo er in einigen Gläsern kleine Bierrester sah und daneben auch ein großes Glas, das scheinbar zur Hälfte Bier enthielt, während die obere Hälfte offenbar eine dicke Sahne war. Der Buten-Kahrl machte kurzen Prozeß, trank die Pfützchen Bier schnell aus und führte auch das volle Glas zum Munde. Aber es kam ewig nichts gelaufen. Er hob es höher und höher, bis auf einmal sich die untere Masse im Glase durchgerungen hatte. Da spritzte und pfützte ihm die obere Sahnenschicht das ganze Gesicht und den blauen Schürzenlatz überall voll. Nun aber ging das Lecken los, kein Tropfen durfte umkommen. Auch auf dem Schürzenlatz fuhr seine Zunge herum. Als er das bedienende Mädchen kommen hörte, verschwand er schnell und zog die alte Buchholzer Straße hinaus. Aber, aber — das war eine böse Wegfahrt. Bis zur Windmühle brauchte er diesmal drei Stunden statt einer halben.

(Fortsetzung folgt.)

Schlettauer Heimatblätter. 1. Jahrgang, Nr. 10 v. 15. Juni 1926, S. 11 – 12