Verklungene Namen (9)

Plaudereien aus Schlettaus Vergangenheit von Paul Thomas.

(8. Fortsetzung.)

Vom Schlettauer Bergbau.

Von dem Umfange des obererzgebirgischen Bergbaues in der Blütezeit von 1490 bis 1560 können wir uns heute gar keine rechte Vorstellung mehr machen. Im Annaberger Revier wurden in der Zeit von 1523 bis 1600 nicht weniger als 969 Grubenfelder erschlossen. Auf Buchholzer, Schlettauer, Dörfler, Frohnauer und Hermannsdorfer Flur gab es allein 140 Zinnzechen. Was muß das einstmals für ein Leben hier gewesen sein! Fast klingt es wie ein Märchen. Und doch ist es geschichtliche Tatsache.

Ja, wenn die alten Halden reden könnten! Sie würden uns begeistert von einer glanzvollen Geschichte unseres Heimatstädtchens erzählen. So aber liegen sie als stumme Zeugen vergangener Zeiten unbeachtet am Wege, weit drinnen in der Flur; der Zehnte geht vorüber, ohne bei ihrem Anblick auch nur zum geringsten Nachdenken angeregt zu werden. Das ist nicht lobenswert. Wer seine Heimat lieb hat, der sucht die Hieroglyphen zu deuten, die die Geschichte in die Gemarkung geschrieben, dem wird jeder Stein ein Erzähler, jede Geländelinie ein Anlaß, den Schritten nachzugehen, die die Zeit über die heimatliche Flur getan hat.

Drum, lieber Leser, schließ Dich mir an! Wir wollen einen Rundgang ums Städtchen machen und die alten Spuren der bergstädtischen Vergangenheit Schlettaus aufsuchen, wir wollen uns auf den Halden niederlassen und uns in die Tage zurückversetzen, wo die Spitzhacke des Häuers die heimatliche Flur untergrub, um dem Erdinnern die viel begehrten metallischen Schätze zu entreißen.

Den Grünlaßgrund (bei der Grundteichschänke – Hühnerzucht) hatten wir bereits nach allen Ecken und Enden durchstreift (siehe die Märznummer der Heimatblätter!), hatten das große Berggebäude „Fürst Michaelis“ und das Beilehn zur „Schwarzen Binge“ im Geiste rekonstruiert. Nun wenden wir uns stadtwärts. Der idyllische Kreuzweg führt uns über die Höhe beim Fleischergut vorbei, und bald befinden wir uns wieder inmitten eines alten, bedeutenden Bergreviers. Die „Schlettauer Communzeche St. Michaelis“ genannt, ist’s, deren Reste links und rechts vom Wege grüßen. Welch‘ malerischen landschaftlichen Schmuck bilden die mit Baum- und Strauchwerk bestandenen Halden auf der Höhe, und unten an der Talstraße im Naumannwäldchen noch deutlich erkennbar das ehemalige Mundloch des Hauptstollns, der ziemlich tief in das Gebirge getrieben worden war. Der „Segen Gottes Morgengang“ gewann am Ende beinahe Anschluß an die „Schwarze Binge“. (Vergleiche hierzu auch das Kärtchen in der bereits erwähnten Märznummer der Heimatblätter!)

„Es ist unstreitig eines der ältesten Schlettauer Berggebäude“, heißt es in einem alten Aktenbündel, das wir hier vor uns haben. Die Vorfahren hatten vor dem Mundloche auch ein Pochwerk erbaut, das von den Wassern der Zschopau getrieben wurde. Bei der großen Hochwasserflut im Jahre 1565 wurde das Werk und wohl auch das zum „Reichen Spat“ gehörige, das vor dem Mundloch auf der Bockwiese stand, mit fortgerissen. Auch das Dörfler Pochwerk wurde damals von dem gleichen Schicksal ereilt. Am längsten hat sich von den Schlettauern Pochwerken das bei der „Jungen Susanne“ gehalten. Das Mundloch des Jungen Susanne-Stollns finden wir heute noch ganz dicht bei Neu-Amerika links am Kohlenwege. Das Pochwerk stand vermutlich in der Teufe rechts der Neuen Straße und wurde von den außerordentlich starken Stollnwassern getrieben, die – wie die Klagen in den Gruben berichten, immer wiederkehren – den Betrieb in dem Berggebäude sehr erschwerten. Aus den Akten ist zu ersehen, daß die Erze vom St. Michaelisstolln späterhin auch im Susannepochwerk geschlagen wurden.

Der Schottenberg, in den alle bisher genannten Gruben getrieben worden sind, gehört geologisch in das Gebiet der Gneisformation, die etwa in der Linie Elterlein–Scheibenberg–Walthersdorf die Glimmerschieferformation ablöst. Die Bergleute stießen neben dem Hauptgestein aber auch auf Quarz, Hornstein, Schwefel- und Kupferkies, auf Kalk- und Flußspat, auf Letten, auch Bleiglanz und andere Mineralien wurden hier und da angeschlagen.

In der zweiten Schlettauer Bergbauperiode, die wir in der vorigen Nummer unserer Heimatblätter mit den Jahren 1775 und 1825 begrenzt hatten, wurde der St. Michaelisstolln, wie bereits angedeutet, von der Stadt Schlettau gebaut. Der Stolln war schon im Jahre 1692 in den Besitz des Städtleins übergegangen, und der Rat hatte den Ertrag der Land- und Tranksteuer, ingleichen die Faßgroschen – in Summa jährlich 175 Thaler – verbauen dürfen. Ende des 18. Jahrhunderts verbaute der Rat nur die Hälfte dieser Steuererträge, der andere Teil mußte von einer Gewerkschaft aufgebracht werden. Verschiedene Schlettauer Bürger erwarben sich Kuxe, doch traten auch auswärtige Personen der Berggewerkschaft bei. Wir finden in einer amtlichen Aufführung der Gewerken Leute aus Dresden, Leipzig, Merseburg, Weißenfels, Naumburg, Mühlberg, Magdeburg, Glauchau, Vetschau, Frankfurt usw. als Kuxeninhaber von diesem Berggebäude verzeichnet, besonders war der „Neue Wunder Segen Gottes Stolln“ bei St. Michaelis Gegenstand lebhaftester Spekulation. Die Ausbeute an Silbererzen entsprach zwar nicht ganz den Erwartungen, aber das Unternehmen wurde großzügig betrieben. 1785 entstand an der Stelle des alten Pochwerkes eine Erzwäsche. Die Akten über die Schlettauer Communzeche laufen bis zum Jahre 1816. In der Zeit von 1785 bis 1816 war in den Gruben Silber im Werte von 1383 Thalern gewonnen worden.

Im Jahre 1856 stießen Erdarbeiter in der Nähe der heutigen Knochenpräparatefabrik auf erzhaltiges Gestein. Damals ließ sich sofort der damalige Besitzer des Schloßgrundstückes, Julius Hermann Naumann, für ein Grubenfeld von 20 000 Quadratlachtern oder 20 Maßeinheiten das Mutungsrecht verleihen. Mit den gespanntesten Hoffnungen ging man an den Bau der „Fundgrube Clara“, allein es erwies sich schon nach ganz kurzer Zeit der Bergbau an dieser Stelle als ein unrentables Unternehmen, so daß im Jahre 1861 das Feld ins „Bergfreie zurückgegeben wurde“.

Ganz ähnlich erging es einem Annaberger Bergarbeiter Namens Karl Friedrich Schiefer, der 1857 am Schottenberge auf ein Grubenfeld von 108 428 Quadratlachter die Mutungsrechte verliehen bekam und mit der Erschließung der Grube „Gotthilftstets“ begann. Schiefer mußte schon nach einigen Monaten die Spitzhacke wieder beiseite legen, da der Ertrag nicht im entferntesten den Erwartungen entsprach.

In der Nähe des heutigen Böttchergutes am Frohnauer Weg – „im Mittel zwischen Schlettau und der Putzigerschen Ziegelscheune“ – entstand um dieselbe Zeit das Berggebäude „Goldner Stern“, das von einem Annaberger Nagelschmiedemeister Namens Hänel gemutet worden war. Hänel baute auf Eisenstein. Es war schon ein 15 m (7½ Lachter) tiefer Schacht gegraben, aber das Gebirge zeigte „kein freundliches Gesicht“. Die Grube ging ein. Auf dem Plateau nach Rubners Gütern zu stand auch ein altes Brechhaus, und links vom Wege sind auch noch die Spuren eines ehemaligen Tagschachtes zu sehen. Wir sehen jedenfalls, daß man noch im 19. Jahrhundert auf den Schottenberg die größten Hoffnungen setzte. An der alten Buchholzer Straße, dort wo der Weg die Hochebene erreicht, lag bis vor wenigen Jahren links am Wege die große Schmiedelhalde, die dem fortschreitenden landwirtschaftlichen Betriebe zum Opfer gefallen ist. Rechts am Wege, einige Meter im Felde, ist dagegen eine kleinere Halde liegen geblieben, auf welcher der Verschönerungsverein sonst immer eine Ruhebank aufzustellen pflegte, von der aus man einen überraschend schönen Blick auf die Stadt, auf das Tal und die gegenüberliegenden Höhen genoß. Die Namen aller dieser Berggebäude sind verklungen. Kein Schlettauer erinnert sich ihrer mehr. Versunken und vergessen; wie Grabsteine, auf denen die Schrift ganz verwischt ist, so liegen die Halden da.

Etwas fester in der Erinnerung hat sich dagegen der „Reiche Spat“ erhalten. Wir haben ihn in unseren Untersuchungen schon mehrfach erwähnen müssen. Es ist das umfangreiche Berggebäude, das am hinteren Schottenberge im Gebiete der heutigen Schrebergärten betrieben wurde. Wir wissen bereits, daß hier schon um 1477 nach Erz gegraben wurde. Die Halden liegen noch ziemlich unversehrt da, auch das Mundloch des Reichen Spat und des dazu gehörigen „Hoffnung Gottes Stollns“ ist im Gebüsch am Hange an der Bockwiese noch deutlich zu erkennen. Dort liegt auch noch eine mächtige Sturzhalde. An dieser Stelle stand das alte Pochwerk, in welchem anfangs die Silber-, später die Zinnerze geschlagen wurden, die man aus den Gruben förderte.

Eine Zinnzeche war auch der „Junge Susannestolln“, dessen Mundloch wir bei Neu-Amerika entdeckt hatten.

Einen Vorteil ziehen wir aber heute noch aus diesen alten Berggebäuden. Die Stadt Schlettau hat die Stollnwässer zum Teil gefaßt und stellt sie in den Dienst der Wasserversorgung. Vielleicht kommt aber noch einmal die Zeit, wo unternehmungslustige Leute aufs Neue im Gebiete des Schottenberges die Bergleute anfahren lassen. Man hört ja in jüngster Zeit wiederholt von Wiederbelebungsversuchen des Bergbaues. Es wäre doch gewiß nicht ausgeschlossen, daß auch unser Gebirge noch Schätze birgt, die der Erschließung harren.

Wir werden uns in einem weiteren Aufsatze noch mit den Schächten und Stolln zu beschäftigen haben, die auf der linken Uferseite der Zschopau angelegt worden waren. Wenn in diesem Gebiete der Bergbau auch nicht so rege war wie an den gegenüberliegenden Höhen, so werden wir doch auch hier auf allerhand Grubennamen stoßen, die wertvolle Bausteine zur Geschichte des heimischen Bergbaues liefern.

(Fortsetzung folgt.)

Schlettauer Heimatblätter. 1. Jahrgang, Nr. 9 v. 15. Mai 1926, S. 4 – 5