Schlettauer Künstler auswärts

Von Oberlehrer Springer, Zschopau (in Schlettau 1892 – 1900)

Es ist schon lange her (26 Jahre), daß ich das liebe Schlettau verlassen habe. – In einem anderen Orte habe ich bereits mein 25jähriges Ortsjubiläum feiern können. Viel Liebes und Gutes ist auch mir in meinem neuen Wirkungskreis zuteil geworden. Aber warum weilen meine Gedanken noch so oft in dem kleinen, lieben Erzgebirgsstädtchen, in dem ich fast ein Jahrzehnt, die schönste Zeit meines Lebens, verbringen konnte?

Ist es des Lebens Lenz, die Jugend, die ich dort verlebte, die den Menschen aufnahmefreudiger und empfänglicher für Freundschaft und Liebe machte, sind es die lieben Erinnerungen an viele vergnügte Stunden, die ich in der „Liedertafel“ unter Herm. Kupfers Vorsitz oder in der „Harmonie“ unter der Führung des lebensfrohen Pilz Max verlebte, oder ist es die unauslöschliche Dankbarkeit dafür, daß ich hier mein Liebstes und Bestes, meine herzliebe Lebenskameradin gefunden habe? Dieses zu erörtern, ist nicht der Zweck dieser Zeilen.

Tatsache ist: eine unaufhörliche Sehnsucht ist bis auf den heutigen Tag in meinem Herzen geblieben, und ein Wiedersehen mit einem lieben alten „Muhmerich“ ist für mich immer eine ganz besondere Freude gewesen.

Leider war dies aber selten der Fall. Um so freudiger überraschte mich im vergangenen Sommer die Nachricht: „Schlettauer Schnitzer kommen nächsten Sonnabend mit Musik zu einer festlichen Veranstaltung des hiesigen Schnitzervereines!“

Da die Stunde der Ankunft nicht bekannt war und ein feierlicher Empfang meinerseits nicht stattfinden konnte, machte ich mich an jenem Sonnabend-Nachmittag zeitig auf die Suche der Gäste. Und da ich als alter Schlettauer die Trunkfreudigkeit derselben kannte, waren ihre Verstecke ja leicht zu erraten.

Daß ich meine edle Aufgabe mit verständnisvoller Liebe und beispiellosem Eifer aufgefaßt habe und bald vollständig „gebrauchsfertig für eine frohe Wiedersehensfeier“ war, das wird mir mein alter, lieber Freund Röhling Gustav bezeugen, den ich als ersten lieben Schlettauer in meine Arme schließen und ans treue, deutsche Herz drücken konnte.

Vereinspflichten aber riefen den überaus rührigen Oberschnitzer zu seinen Getreuen, und so fand das frohe Wiedersehen bedauerlicherweise bald ein Ende. Beim folgenden Sonntagsfrühschoppen und herrlichen Nachmittagskonzert mit den Schlettauer Damen haben wir aber Versäumtes nachgeholt.

Ueber die festliche Veranstaltung des Schnitzervereins haben berufenere Leute berichtet, aber ein lobendes, allgemeines Urteil soll noch besonders hervorgehoben werden: „Die Schlettauer verstehen eine ausgezeichnete Musik zu machen.“ Das sollte auch dem Verfasser dieses kleinen Berichtes besonders klar werden.

Am frühen Sonntagmorgen brachte die Schlettauer Musikkapelle ihrem alten Schlettauer Freund ein Ständchen. Besonders sinnig, weil sie ihm Lieder spielte, die er so oft und gern in ihrer Sängerrunde gesungen hatte und die ihr äußerst begabter Dirigent – Freund Köhler Fritz – (extra) in Blasmusik übertragen hatte.

Tief ergriffen lauschte ich mit meiner Familie und einer Menge Zuhörer aufmerksam den alten, lieben Weisen: „Das macht das dunkelgrüne Laub“ (einstmals Bravourlied meiner „Harmonie“), „Das Lieben bringt groß‘ Freud“. Und mit dem immer und immer wieder gern gehörten Lied: „Aus der Jugendzeit, aus der Jugendzeit, klingt ein Lied mir immerdar“ flogen meine Gedanken hinauf zu den lieben Menschen, mit denen ich so viele schöne Stunden verlebte im kleinen Städtchen, „das mein einst war“. Ja, „es war ein Sonntag hell und klar, ein selten schöner Tag im Jahr“.

Habt Dank, herzlichen Dank dafür, ihr treuen Freunde, für die Anhänglichkeit und Liebe; jener leuchtende Sommermorgen war mir eine unvergeßliche Feierstunde.

Wahrlich, eine tiefe Poesie ruht noch in unserem deutschen Volke, in treuen Sängerherzen. Auch die größte Not vermag dem deutschen Volke diese Innerlichkeit, diesen Idealismus, das köstlichste und wertvollste Gut, nicht zu rauben. Alles haben wir verloren, selbst unsere Freiheit, aber eins ist dem deutschen Volke auch in den bitterernsten Zeiten erhalten geblieben: Die Liebe zum Großen und Schönen, die Ideale, seine Liebe zur Musik, zum deutschen Gesang.

„Und brandet rings die Welt in Haß und Fehle,
Im Sang‘ erblüht auf´s neu die deutsche Seele.“
   Erich Langer.

Darum:

Du sollst an Deutschlands Zukunft glauben,
An deines Volkes Aufersteh´n.
Laß diesen Glauben dir nicht rauben
Trotz allem, allem, was gescheh´n.
Und handeln sollst du so, als hinge
Von dir und deinem Tun allein
Das Schicksal ab der deutschen Dinge,
Und die Verantwortung wär dein.
   Joh. Gottl. Fichte, 1810.

Und Hindenburgs Wort wird einst wahr werden, das er in prophetischem Geiste auf der Trümmerstätte seines Glückes und Stolzes ausrief: „Ich glaube fest und unerschütterlich an schöne, deutsche Zukunft meiner Brüder.“

Schlettauer Heimatblätter. 1. Jahrgang, Nr. 6 v. 15. Februar 1926, S. 7 – 8