Separatistische Umtriebe in der Bins

Am Fastnachtsdienstag abends 8 Uhr wird im großen Saale des Schützenhauses die Freistadt Bins feierlich ausgerufen und damit die endgültige Trennung des Stadtteils jenseits der Roten Pfütze von der Mutterstadt Schlettau vollzogen werden. So wird nunmehr die längst erwartete und gehoffte politische Selbständigkeitmachung der Elterleiner Vorstadt Tatsache werden. Der Präsident und die provisorische Regierung der neuen Städterepublik erlassen folgenden aufruf:

Binsulaner!

Nachdem schon seit Jahrzehnten in den Bauernwirtschaften der Bins Separatoren in Tätigkeit waren, hat sich auch in den Gemütern die separatistische Bewegung nicht mehr aufhalten lassen. Es ist kein Ausfluß eines sträflichen Ehrgeizes, der uns zu diesem Schritte drängt, sondern der natürliche Selbsterhaltungstrieb hat die Umsturzpläne in uns reifen lassen. Die Art und Weise, wie man uns bisher im Verbande der Muttergemeinde behandelte, war verletzend und demütigend zugleich. Man betrachtete uns immerfort als lästige Außenseiter und hatte für die Notschreie aus der Bins kein Gehör. Unter eigener Regie wollen wir die uns liebgewordene Bins zu niegeahntem Glanz und fabelhaftem Wohlstand emporführen und appellieren an alle Binsler, die Maßnahmen der neuen Regierung nach Kräften zu unterstützen.

Bins, Heil!!!
Der Präsident
Karl W. von Endler, Stadtrat.
Der Stadtkanzler
Ritter Seidler von Eckstädt.

In der Bins waren heute folgende Bekanntmachungen angeschlagen.

Mitbürger!

Der neue Binsregent hat angeordnet:

  1. Die neue Stadtrepublik Bins führt in ihrem Wappen einen Hund ohne Steuermarke. Die Grenze bildet die Rote Pfütze. Was hüben ist, ist hüben, was drüben ist, ist drüben.
  2. Auf den Briefmarken der Bins werden ähnlich wie auf den polnischen Marken (es soll überhaupt bei uns ein bißchen polnisch zugehen) Bilder der Arbeit stehen. Die Groschenmarke zeigt einen Eisenbahner, der mit einem Karren Sand angekeucht kommt.
  3. An Stelle der Hundesteuer, die in Wegfall kommt, werden Hundeprämien eingeführt. Nur Schweinehunde unterliegen der Besteuerung.
  4. Es wird in der Bins eine Balkonsteuer erhoben.
  5. Zwischen Schlettau und der Bins treten die Bestimmungen des kleinen Grenzverkehrs in Kraft. Wer nach der Bins einreisen will, hat sich einen Grenzausweis ausstellen zu lassen.
  6. Um die hygienischen Vorteile der Stadt überall wahrzunehmen, wird in Sonderheit angeordnet: Briketts dürfen nur in Seidenpapier eingewickelt verkauft werden.
  7. Zur Erhöhung der städtischen Einnahmen werden folgende Maßnahmen getroffen:
  • a) Saure Gurken sind mit Banderole zu verkaufen.
  • b) Bei den Rollmöpsen ist an Stelle des Holzspeilers ein Druckknopf aus Schokolade anzubringen.
  • c) Für Schweinehunde besteht ständig Hundesperre. Sie sind immer an der Leine zu führen. Jeder Schweinehund hat sich beim Wolfsattler in der Schläte einen Maulkorb anmessen zu lassen.
  • d) Im Stadtparlament in der Bins haben die Stadtverordneten kein Stimmrecht. Stadträte gibt es nicht.
  • e) In den Hotels der Bins werden die Sätze für Übernachtungen nach der Größe und dem Gewicht des Schlafgängers festgesetzt.
  • f) In der Bins wird ein öffentliches Radio eingerichtet, in dem jeden Tag abends um 8 Uhr die neuesten Witze vom Wolfschen Witzbüro herübergekabelt werden.
  • g) Die Bins errichtet ein eigenes Lotto. Wer im Lotto setzen will, hat seinen Stuhl mitzubringen.
  • h) Die Schiffahrt auf der Roten Pfütze unterliegt den Bestimmungen über den Verkehr auf Großwasserwegen.
  • i) Im Ullrichsumpf wird ein städtisches Frei- und Familienbad eröffnet.
  • k) Wer Böcke schießen will, hat sich einen Jagdschein ausstellen zu lassen. Für Mädchenjäger ist kein Revier mehr zu verpachten, da die Binsler das am liebsten selbst besorgen.
  • l) Wenn in der Bins die Tollwut ausgebrochen ist, dann hat ihn jeder drin zu lassen, der ihn drin hat, und wer ihn draußen hat, hat ihn neinzustecken den Hund, bis die Wut vorbei ist.

Wer diesen Bestimmungen zuwiderhandelt, wird mit Verbannung aus der Bins bestraft sein Leben lang.

Bins, den 16. Februar 1926.
W. v. Endler, Binsregent.

Schlettauer Heimatblätter. 1. Jahrgang, Nr. 6 v. 15. Februar 1926, S. 2 – 3