Plaudereien aus Schlettaus Vergangenheit von Paul Thomas.
(10. Fortsetzung.)
Schlettauer Flurnamen.
Für die Geschichtsforschung fließen dem ernsthaft Suchenden mitunter unerschöpfliche Quellen. Ich möchte das beinahe auch für unsere Schlettauer Verhältnisse behaupten. Nicht nur in alten Akten und Urkunden liegt ein schier unergründlicher Schatz von ortsgeschichtlichen Daten und historischen Denkwürdigkeiten vergraben, das Schloß mit seinen Räumen und Gemächern, die Kirche mit ihren Altertümern, das Rathaus und andere Gebäude der Stadt wie beispielsweise das „Reuterhaus“ am Schloßplatz sind gesprächige Zeugen aus längst vergangenen Tagen, nicht zu vergessen die Reste der ehemaligen Stadtmauer, die leider immer mehr der Auflösung verfallen. Ein Ortschronist wird aber mit ganz besonderer Aufmerksamkeit auch die alten Flurnamen studieren müssen, weil gerade in diesen Namen sehr oft ein bedeutsamer Fingerzeig für ortsgeschichtliche Deutungen gegeben ist.
Wir haben ja in unseren heimatkundlichen Wanderungen, die wir in der Artikelreihe „Verklungene Namen“ bisher gemacht haben, schon oft vor solchen Flurnamen Halt gemacht und sind begierig gewesen, was uns die alten Namen zu sagen und zu erzählen hatten. Im Hauptstaatsarchiv zu Dresden liegt nun wohl auch von jedem sächsischen Orte ein Flurnamenverzeichnis und eine dazu gehörige Karte, in der alle die Namen eingezeichnet stehen, die ehemals und zum Teil noch in der Gegenwart ein bestimmtes Flurgebiet des heimischen Weichbildes bezeichnen und in vielen Fällen ortsgeschichtlich betonen.
Wir wollen, indem wir heute die Artikelreihe: „Verklungene Namen“ zum Abschluß bringen, die bisher noch nicht genannten Flurnamen, soweit sie auf geschichtlichen Wert Anspruch erheben dürfen, aufzählen und die nötigen Anmerkungen dazu machen.
Die Wiesen im Tale der Roten Pfütze gegenüber vom „Grünen Zweig“ führen auf der Flurnamenkarte die Bezeichnung „Viehtrift“. Das ist eine sehr alte Bezeichnung. Wir müssen uns erinnern, daß vor der Gründung der Stadt Buchholz die Schlettauer Bauern ihre Viehweiden auf dem Schottenberge hatten bis hinüber ins Sehmatal, wo heute die Häuser von Buchholz stehen. Als Buchholz gegründet wurde (1501), mußte Schlettau diese Viehtrift als Baugelände für die neuzuerrichtende Stadt abtreten. Damals wendeten sich die Schlettauer an den Abt von Grünhain, dem die Stadt unterstand, und baten um gnädige Zuweisung anderen Weidelandes. Das scheinen aber sehr langwierige Verhandlungen gewesen zu sein, denn erst im Jahre 1533 übereignet Abt Johannes von Grünhain neben dem Stockholz auch den Raum an der Roten Pfütze den Schlettauern als Ersatz für die aufgegebenen Flächen am Schottenberge.
Das Stück Schlettauer Wald, das sich an die Viehtrift anlehnt und von den Wiesen heute durch den Greifenhagenschen Betriebsgraben getrennt ist, ist der „Büttelwiesenwald“. Auch mit diesem Namen verbindet sich ein Stück städtische Kulturgeschichte. Der Büttel war der ehemalige Stadtwachtmeister, der Gerichts-Ratsbote, der Henker, das hohe Polizeiorgan. Die Besoldung der Beamten ging früher eigene Wege. Sie setzte sich zusammen aus einem dürftigen Gehalte und den sogenannten Accidentien. Das waren Naturaleinkünfte, die den Beamten u. a. aus Wald-, Feld- und Gartennutzung zustanden und die sie sich selbst herausholen mußten, wenn sie es nicht vorzogen, das ihnen zugewiesene Waldstück oder Feld und Garten zu verpachten. Die meisten Beamten haben aber wohl die Bewirtschaftung selbst übernommen, denn es wurde im Mittelalter ja in jedem Hause ein bißchen Landwirtschaft getrieben. Sie fuhren mit der Eigenbewirtschaftung sicherlich auch besser als mit der Verpachtung, bei der erhebliche Einnahmen nie zu erzielen waren. Nun vermute ich, daß der Büttelwiesenwald mit seinen Erträgnissen dem städtischen Wachtmeister zugesprochen war als Teil seiner Besoldung. [1] In gleicher Weise setze ich auch die Besoldung des Bürgermeisters zusammen. Dem Bürgermeister war die Nutzung des Flurstückes rechts des heutigen Fickertweges (früher wohl Zwitterweg genannt) als zu seinen Einkünften gehörig zugewiesen. Die Feldstücke daselbst führen daher auf der alten Flurnamenkarte die Bezeichnung „Bürgermeister-Erbel“.
Ganz ähnlich lagen die Besoldungsverhältnisse auch bei den Kirchen- und Schulbeamten. Hier war es sogar so, daß der wesentlichste Teil der Einkünfte aus den sogenannten Accidentien herausgeholt werden mußte. An diesen Zustand erinnern in der Schlettauer Flur noch heute die Namen Pfarrwald, dessen Nutznießung ja bis auf den heutigen Tag zu den Einkünften der hiesigen Pfarrstelle gehört, dann weiter die Namen Rektorfeld und Rektorgarten. Der Pfarrwald ist der vordere Teil des Schlettauer Waldes, der sich an den links abzweigenden Weg anlehnt, wohingegen das Rektorfeld vor dem Saubad links vom Wege liegt, der Rektorgarten aber etwa in der Linie der heutigen Rathenaustraße zu suchen ist.
Wir hatten soeben den Namen Saubad erwähnt. Er stammt aus der Zeit, da unsere Gebirgswälder noch einen viel reicheren Wildbestand zeigten. Unser naturwissenschaftlicher Mitarbeiter hat erst unlängst in den Heimatblättern über Weidmannsheil in vergangenen Tagen geplaudert. Dort hörten wir, daß ehedem auch die Wildsau in unsern Wäldern heimisch war und von den Jägern gern aufs Korn genommen wurde. Das Flurstück, das wir heute mit dem Namen Saubad bezeichnen, – es liegt zwischen der Straße nach Scheibenberg und dem vorhin erwähnten Waldweg – ist heute noch sehr sumpfig und mag früher noch viel morastiger gewesen sein. Solche Stellen sind für die Wildschweine der gegebene Aufenthaltsort. Es kann ja sein, daß sie die Moräste aufsuchen, um dort ein Bad zu nehmen, jedenfalls sind es aber auch andere Belange, die den Keiler und seine Sauen nach den Sümpfen treiben. Wenn sie im Moorgrund herumwühlen, „schmatzend und pustend“, dann darf man annehmen, daß der Morast manches für die Mahlzeiten der Wildschweine beisteuert. Nun werden sicherlich unsere Schlettauer früher oft Gelegenheit gehabt haben, die Wildsauen dort in der Suhle sich tummeln zu sehen, und so lag die Benennung der kleinen sumpfigen Senke mit „Saubad“ sozusagen auf der Hand.
Verschiedene Wiesen in Schlettauer Flur haben noch besondere Bezeichnungen, deren Ableitung auch auf einigen Widerstand stößt. Keine Schwierigkeiten dürften in dieser Hinsicht die Namen „Ochsenwiese“ machen. Wir kennen eine Ochsenwiese vor dem Stockholz links vom Wege und eine solche gegenüber von Neuamerika, die jetzt als Fußballplatz benutzt wird. Die „Rehbockwiese“ hat aber ihren Namen von einem Besitzer dieses Namens und nicht etwa, wie man vermuten könnte, von den Rehböcken, die auf keinen Fall diese sauren Wiesen – sie liegen bekanntlich in der Bins hinter den Scheunen – als Aesungsplatz aufgesucht haben. Die Wiesen zwischen der Roten Pfütze und dem Löffler-Bodenburg’schen Betriebsgraben heißen die Mühlwiesen, ein Name, der auch ohne weiteres klar wird, wenn man sich erinnert, daß früher dort die Liebschtmühle klapperte und daß in frühester Zeit hier „des Rats Obermühle“ stand. Die Zechenwiesen bei Rubners Gütern verdanken ihren Namen dem Bergbau, der in dieser Flucht besonders lebhaft war; dagegen kann ich nicht sagen, wie die Wiesen am äußersten Ende des Stadtwaldes nach den Götzgütern hin zu der Bezeichnung „Jahrmarktswiesen“ kommen. Unter „Langer Wiese“ verstehen wir den langgestreckten Wiesengrund zwischen dem vorhin erwähnten Bürgermeister-Erbel und dem Reichen Spat, der in neuerer Zeit aufgeforstet worden ist, wenigstens in seinem oberen Teile.
In der Gegend von Neuamerika sind noch einige dunkle Flurnamen, so die „Streitspitze“, der Kohlenweg, sowie der „Fürstenweg“ und nun zu guterletzt „die Sorge“. Die Phantasie hat einen weiten Spielraum, Licht in das Dunkel dieser Namen zu bringen; wir können uns aber auf solche Kunststückchen nicht gut einlassen.
Wir werden, wenn wir nun in einer neuen Artikelreihe mehr auf die Geschichte der Stadt Schlettau selbst eingehen, noch hin und wieder auf solche Flurnamen stoßen. Dann werden wir die Gelegenheit nicht versäumen, auch deren Bedeutung und Entstehung zu erklären, soweit uns die verfügbaren Quellen nicht im Stiche lassen.
Wenn ich nun zurückblicke auf das, was ich den verehrlichen Lesern der Heimatblätter in der Artikelserie „Verklungene Namen“ geboten habe, so möchte ich dem Wunsche Ausdruck geben, daß die Plaudereien ihren Zweck erfüllt haben möchten, daß sie wieder Leben und Bewegung in die Landschaft getragen haben und dem Spaziergänger, dem Wanderer immerfort Veranlassung geben, denkend und im Heimatgefühl angeregt, die Sprache der Heimatflur zu erfassen und zu verstehen.
[1] NB. Daß die Büttelwiese der ehemalige Henkersplatz gewesen sei, wo der Galgen stand und die Schwerverbrecher abgeurteilt wurden, glaube ich nicht. Der Schlettauer Galgen stand an der Böhmischen Straße in der Nähe der Hänel-Fabrik.
Schlettauer Heimatblätter. 1. Jahrgang, Nr. 12 v. 15. August 1926, S. 6 – 7